Sebastian Weik Blog | e-Mobility | VW ID.3 - Die Assisntenzfunktionen - Fluch oder Segen?

Sebastian Weik

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VW ID.3 - Die Assistenzfunktionen - Fluch oder Segen?

Der ID.3 kommt ja mit einer Reihe von Assistenzfunktionen, die in der Presse sehr hoch gelobt werden. Ich kann mich dieser Einschätzung leider nicht so ganz anschließen, aber lest selbst. Vielleicht bin ich auch einfach zu alt für diese meist bevormundenden Gadgets...

Auto Hold

Da der ID.3 ja wie beschrieben kein wirkliches OnePedal-Fahren erlaubt, verspricht die "Auto-Hold"-Funktion hier Abhilfe indem sie nach einem vollständigen Stop des Fahrzeugs die (wahrscheinlich?) Handbremse automatisch einlegt und bei Tritt auf das Gaspedal wieder löst. Man kann somit wenigstens vor der roten Ampel den Fuß von der Bremse nehmen. Das funktioniert auch grundsätzlich so weit, aber mir persönlich sind die damit verbundenen "Ruckeleien" beim Stehen-Bleiben und Wieder-Losfahren zu unruhig. Diesen Assistenzen habe ich daher zuerst ausgestellt. Zweimal gab es auch das Problem, dass das Fahrzeug beim Rangieren plötzlich und unvermittelt eine "Vollbremsung" machte und in "Park"/"Auto-Hold" ging. Das trat nach Abschaltung nicht wieder auf.

Was aber nach Abschalten der Auto-Hold-Funktion auftritt, ist dass das Fahrzeug beim Anfahren auf leichten, eigentlich unmerklichen, Steigungen beim Anfahren manchmal kurz rückwärts rollt und dem Fahrer einen gehörigen Schreck verpasst! Bei starken Steigungen (z.B. einparken an Gefälle-Strasse) funktioniert alles korrekt - das Auto rollt keinen Millimeter entgegen der gewünschten Fahrtrichtung, aber bei leichten Steigungen gibt es da offenbar noch ein Problem. Liebes ID.3 Team: Ein E-Auto darf sich keinen Millimeter nie und niemals entgegen der gewünschten Fahrrichtung bewegen. Dafür gibt es bei Einsatz eines kupplunglosen E-Motors keinerlei Entschuldigung mehr und dergleichen habe ich z.B. beim i3 auch niemals erlebt!

Lane Assist

Die kleine 1st-Variante hat ja die teil-autonomen Fahrfunktionen nicht dabei - über diese kann ich daher nichts sagen. Als "Abfallprodukt" dieser Entwicklungen ist aber der sog. "Lane-Assist" integriert, der den Fahrer von unüberlegten Spurwechsel-Manövern abhalten soll. Diese Funktion ist technisch bestimmt eine tolle Entwicklungsleistung aber wie sie es in die Produktiv-Variante eines Fahrzeugs geschafft hat, bleibt schleierhaft. Aber der Reihe nach:

Zunächst fällt der Asssistent bei guten Sichtverhältnissen auf der Autobahn durch "oberlehrerhaftes" Eingreifverhalten auf: "Blinkmuffel" (wie ich offenbar eine bin ...) bestraft er bei Spurwechsel auf der Autobahn durch ruckeln am Lenkrad, was zunächst mal zu einem großen Schreck führt. Nach einer Zeit versteht man, dass Betätigen des Blinkers beim Spurwechsel dieses Verhalten verhindert. Nun gut - ich werde artig sein - grundsätzlich hat er ja Recht ...

Aber was sich dann bei schlechter Sicht und engen Verhältnissen "Baustelle" abspielt ist nicht mehr lustig: Mehrfach warnte das System mit verschiedenen Intensitätsstufen davor, in der Spur zu bleiben, obwohl diese nach der Einschätzung eines nun bald 30 Jahre unfallfrei fahrendes Fahrzeigführers exakt getroffen wurde. "Schatzi, ich weiß, dass es hier in der Baustelle eng ist und kann auch nichts dafür, aber wenn es Dir zu 'schwierig' ist, dann vielleicht einfach mal 'Klappe' halten?" hörte ich mich mit dem Assistenten reden ...

Ganz große Probleme hat das System auch mit nassen Strassen und schlechter Sicht. Wassergefüllte Spurrinnen werden gerne als Fahrbahnbegrenzung erkannt und mit entsprechenden (falschen!) Korrektur-Kommendos versehen. Das geht gar nicht! Der Gipfel war einmal die heftig blinkende und ruckelnde Aufforderung in Baustelle und bei Regen (offenbar der "Super-Gau" für das System) sofort die Fahrzeug-Steuerung zu übernehmen und die Hände ans Lenkrad zu nehmen. ??? Geht's noch? Die Hände waren am Lenkrad und nach meiner Erinnerung, war ich auch am steuern. Hier wurde mir die Fehler- bzw. Rückmeldung für ein Feature (teilautonomes Fahren) gegeben, das ich gar nicht verbaut habe! Puhh ... das ist schon ein "Klops", der nicht wie versprochen einen Sicherheitsgewinn bringt, sondern ein Sicherheitsrisiko darstellt!

Zunächst stellte ich daher in der Konfiguration das haptische Feedback (Lenkrad-ruckeln) aus. Leider scheint das System diese Einstellung in gewissen Situationen schlicht zu ignorieren und "greift" trotzdem ins Lenkrad. Daher stellte ich den Assistenzen komplett ab, um aber festzustellen, dass er sich bei jedem Fahrzeugstart wieder einschaltet!

Liebe Ingenieure von VW: Dieses Kapitel hat viele Ausrufezeichen im Text und ich mag das normalerweise gar nicht, aber hier erschein es mit nötig: Solange diese Funktionen so schlecht funktionieren und letztlich nur ein "Marketing-Gag" sind, baut sie vorn mir aus für die "Spielkinder" ein (sie müssen ja auch mal getestet werden) aber seht um Himmels-Willen die Möglichkeit der dauerhaften Deaktivierung vor!!

ACC - Adaptive Cruise Control

Bleibt noch der früher "Tempomat" genannte Assistent. Dieser ist beim ID.3 mit radarbasierter Abstandsregelung, Verkehrszeichenerkennung und "vorausschauender" Verkehrszeichen- und situationserkennung aus den Navi-Daten ausgestattet. Da kann ja nichts mehr scheifgehen denkt man. Schauen wir mal ...

Starten wir mit dem Radar-Abstands-Sensor. Dieser funktioniert super, der Wunschabstand zum Vordermann kann in fünf Stufen eingestellt werden und die von ihm ausgelösten Brems- und Beschleunigungsmanöver sind sanft und angenehm. Auch zum Stau- und Stockendverkehr-Fahren sehr flüssig. Schade, dass er sich dort nach wenigen Sekunden Stillstand abschaltet (Wahrscheinlich aus Sicherheitsgründen Pflicht). Ein Druck aus Strompedal schaltet ihn aber wieder in den aktiven Mode zurück. Hätte VW bei diesem Funktionsumfang "Schluß" gemacht, gäbe es hier 5 Sterne, aber ...

Fährt man mit Sollgeschwindigkeit von z.B. 100km/h in eine Baustelle ein, regelt das System auf 80 herunter. So weit so gut. Ist die Baustelle zu Ende und es folgt ein Aufhebungs-Zeichen, beschleunigt das System unvermittlet auf Richtgeschwindigkeit von 130km/h. Man muss also quasi nach jedem Verkehrsschild die Wunschgeschindigkeit erneut einstellen. Auch schwierig ist die Güte der Erkennung; geht z.B. aus der Baustelle in beengten Verhältnissen eine Abfahrt rechts ab und ist diese z.B. mit 60 ausgewiesen, wird das oft als Maximalgeschwindigkeit für die Hauptfahrbahn interpretiert und entsprechend eine grundlose Bremsung exekutiert. Man hat das Gefühl, dass manchmal auch Begrenzungsschilder erkannt werden, die gar nicht existieren.

In die Kategorie "Oberlehrer" fällt darüber hinaus noch die vorausschauende Verkehrszeichen-Erkennung, bei der die Bremsung basierend auf Navi-Daten schon weit vor dem Schild beginnt, damit man am Schild die korrekte Geschwindigkeit hat. Das mag zwar nach StVO korrekt sein, aber niemand fährt so - man wird hier für die anderen Vewrkehrsteilnehmer zum unerklärlichen Hindernis. Auch stimmen die Navi-Daten oft nicht; es kommt dann zur prophylaktischen Bremsung und wenn das Schild dann nicht kommt, wird wieder beschleunigt. Beides in dem Fall grundlos. Ob diese "Fehlbremsungen" wenigstens an VW zurück gemeldet werden, um die Datenbasis zu verbessern, ist zu hoffen, aber unbekannt ...

Und noch mal kommt der "Fahrlehrer" zum Vorschein nämlich beim gemütlich/effizienten Dahinrollen mit 100 auf der rechten Spur; irgendwo weit vorne ist ein LKW und links drängeln alle beim Versuch, diesen zu überholen. Plötzlich wird links nur noch 90 gefahren. Der Radarsensor erkennt die langsamer fahrenden Fahrzeuge auf der linken Spur (allerdings recht spät) und bremst stark herunter, um ein regelwidriges "Schneller fahren" auf der rechten Spur zu unterbinden. Die gefühlt schon recht ordentliche Bremsung des Systems reicht aber nicht aus, damit der ID.3 nicht trotzdem doch rechts an dem links langsamer fahrenden Fahrzeug "vorbeirutscht". Sobald das passiert ist, meldet der Sensor schlagartig "links frei" und da voraus ja die gesamte Zeit frei war, wird wieder heftig beschleunigt ... Das sehr unruhige Verhalten wird vom Beifahrer stets mit "was machst Du denn?" quittiert. "Ich? Gar nichts, das ist der komische Assistent!". "Schalt den mal aus!" Schade ist in dem Zusammenhang, dass es soetwas profanes wie einen gewöhnlichen Tempomat ohne all den "Firlefanz" leider nicht mehr gibt bei dem Fahrzeug.

Fazit

Zusammengefasst empfinde ich die Assistenzen als nicht ausgereift. Es ist mein erstes Fahrzeug mit derlei "Schnick-Schnack", aber so lange das der aktuelle Stand der Entwicklung ist, sind wir vom voll-autonomen Fahren noch ein gutes Stück entfernt. Und die oktroyierte, da bisweilen nicht abschaltbare, "Zwangsbeglückung" empfinde ich als bevormundend und bei diesem Funktionsstand unangemessen. Bitte liebe VW-Ingenieure: Ermöglicht das vollständige und nachhatlige Abschalten dieser Funktionen. Und ein gewöhnlicher Tempomat wäre auch toll ...

Ach ja - der Regensensor (irgendwie ja auch ein Assistent ...) funktioniert übrigens hervorragend!

2020-10-21